9 Monate Integrationsvereinbarung: Ein Zwischenbericht

von Sebastian Schumacher, erschienen in ÖDaF-Mitteilungen 2/2003
Sprachkurse für Ausländer, 1. Ausbaustufe

weamma
scho seng
ob des net kloppt
dass ana
dea auf deitsch
nix sog kau
ned boid
auf deitsch
wos sogt.

(Gerhard Ruiss)

30.000 KursteilnehmerInnen stellte das Innenministerium vor einem Jahr noch in Aussicht. 30.000 Menschen, die 2003 die sogenannte Integrationsvereinbarung (IV) einzugehen und einen verpflichtenden Deutschkurs zu besuchen hätten. Bei einer Kursgröße von 15 TeilnehmerInnen würde das 2.000 Deutschkurs ergeben, so die überschlagsmäßige Rechnung vieler Kursanbieter. In Zeiten der Einsparungen und Subventionskürzungen ein gigantisches Geschäft. Kein Wunder also, dass diese Zahlen die Sprachkursszene vor einem Jahr in Aufregung versetzte. Dies auch deshalb, weil weitgehende Einigkeit darüber bestand, dass die Integrationsvereinbarung aus fachlicher Sicht abzulehnen sei. Deutsch könne nicht in nur 100 Kursstunden sinnvoll vermittelt werden, das Erlernen einer Sprache nicht durch die Androhung von Ausweisung oder Geldstrafen erzwungen werden.

Trotz der ungustiösen Begleitumstände entschlossen sich letztendlich doch etliche Kursanbieter zur Durchführung der IV-Deutschkurse. Darunter auch Institutionen, die bisher noch nie mit Deutschkursen in Zusammenhang gebracht wurden. So auch das Rote Kreuz. Die Befähigung: Man habe durch die Veranstaltung von Erste Hilfe Kursen bereits viel Erfahrung gesammelt.

Was war nun der Beweggrund der Kursanbieter, IV-Deutschkurse zu veranstalten? Goldrauschstimmung aufgrund der prognostizierten tausenden KursteilnehmerInnen? Vorauseilender Gehorsam? Uninformiertheit?

Mehr Kurse als InteressentInnen
Fest steht inzwischen jedenfalls nach Auskunft des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage, dass von Anfang des Jahres bis Ende Juli nur 135 MigrantInnen insgesamt 44 Kurse besuchten und die Integrationsvereinbarung damit erfüllten. Das ergibt im Schnitt ganze drei TeilnehmerInnen pro Deutschkurs. Wegen des geringen Antrags wurden im selben Zeitraum 136 (sic!) IV-Deutschkurse abgesagt. Statt des erhofften Geldregens bleiben nun unnütze Kosten und Aufwendungen für nie abgehaltene Deutschkurse. Immer mehr Kursanbieter quittieren deshalb die Zusammenarbeit mit dem Ministerium. Dieses
dementiert zwar den Flop der IV, versucht zu beruhigen und mit neuen Versprechungen die Kursanbieter bei der Stange zu halten. Insgesamt hätten ja bereits 5.000 MigrantInnen einen Gutschein für einen Deutschkurs erhalten und würden sich wohl irgendwann einmal bei den Kursanbietern melden. Umstände, die eine wirtschaftlich sinnvolle Planung von Deutschkursen verunmöglichen.

Diese Entwicklung war vorhersehbar. Wer die geringen Zuwanderungszahlen der letzten Jahre auf der einen Seite und die weiten Ausnahmebestimmungen der IV auf der anderen Seite kennt, weiß, dass die vom Innenministerium kolportierten Zahlen schlichtweg falsch sind. Bereits vor einem Jahr wies ich darauf hin, dass 2003 höchstens 10.000 Menschen zum Eingehen der IV verpflichtet seien (vgl. auch Artikel in letzter ÖDaF Ausgabe). Von diesen 10.000 Menschen werden viele Deutsch auf andere Weise erlernen, als durch den Besuch eines IV-Deutschkurses, mit Stand Ende Juli haben wie gesagt nur 135 Menschen die IV auf diese Weise erfüllt. Auch in Zukunft ist keine wesentliche Änderung der Auslastung der IV-Deutschkurse zu erwarten.

Die Erfahrung aus neun Monaten IV führt zu folgender Schlussfolgerung: Gewinner sind Kursanbieter, die weiterhin ihr reguläres Kursprogramm durchführten, ohne sich um die IV zu kümmern und damit auch keine frustrierten Aufwendungen zu tragen haben. Zweitens: Die prognostizierten Zahlen über KursteilnehmerInnen des Innenministerium für 2003 (30.000) und auch für die Folgejahre (jährlich 6000) sind falsch und müssen nach den bisherigen Erfahrungen auf ein paar hundert TeilnehmerInnen jährlich reduziert werden. Und drittens: Diese Entwicklung war zwar vorhersehbar, wurde den Kursanbietern jedoch nicht ausreichend kommuniziert, wichtige Informationen von MigrationsexpertInnen wurden mangels Vernetzung nicht weitergeleitet.

Arbeitsgruppe SprachenRechte
Als Reaktion auf die vor einem Jahr fehlenden Vernetzungsstrukturen hat sich im Jänner ein aus SprachwissenschaftlerInnen und JuristInnen gebildete Arbeitsgruppe konstituiert. Die AG „SprachenRechte“ macht es sich zur Aufgabe, Vorgänge rund um die Integrationsvereinbarung zu dokumentieren und gegebenenfalls gegen Zwangsmaßnahmen, die MigrantInnen wegen ihrer als nicht ausreichend erachtenden Deutschkenntnisse zu erwarten haben, auf juristischem Weg vorzugehen. Ferner soll auch die Rolle von Deutschkenntnissen im Einbürgerungsverfahren beobachtet werden. Aktuelle Dokumentationen sind auf der Homepage abzurufen. Dort finden sich auch Anleitungen für Kursanbieter in Zusammenhang mit der IV.

Einen besonderen Arbeitsschwerpunkt von Sprachenrechte bildet das Thema Sprachanalysen und Dolmetschen im Asylverfahren. DolmetscherInnen nehmen eine zentrale Stellung im Asylverfahren ein, übersetzen sie doch die Fluchtgeschichte eines Flüchtlings ins Deutsche. Verschiede Gründe sind dafür verantwortlich, dass es immer wieder zu folgenschweren Übersetzungsfehlern kommt. Typische Probleme sind, dass etliche der eingesetzten DolmetscherInnen über keine adäquate Ausbildung verfügen, Dialekte des Flüchtlings nicht verstehen oder überhaupt in einer anderen Sprache als in der Muttersprache des Flüchtlings gedolmetscht wird (z.B. wird bei tschetschenischen Flüchtlingen Russisch gedolmetscht). Diese Problemfelder wurden bislang weder von sprach- noch rechtswissenschaftlicher Seite auf breiter Ebene diskutiert. Das soll nun anders werden. Als Auftakt findet im Dezember ein interdisziplinärer Workshop zum Thema statt.

Information und Vernetzung
Unsere Anliegen, Gesetzestexte, Artikel und Diplomarbeiten zu den Themen sind auf der homepage www.sprachenrechte.at abrufbar.

Wir freuen und auf die Mitteilung von Wahrnehmungen in Zusammenhang mit der Integrationsvereinbarung, Deutschkenntnissen bei der Einbürgerung und Dolmetschen im Asylverfahren.

Dieser Beitrag wurde unter Aktivitäten des Netzwerk-SR & seiner Mitglieder, Interventionen abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.