Interview mit Mario Rieder, Bildungs- und Integrationsexperte, über Auswirkungen und Verbesserungsmöglichkeiten der “Integrationsvereinbarung”.
1998 starteten die ersten Kurse der „Sprachoffensive“ der Stadt Wien. Das Sprachenzentrum im „LernRaum Ottakring“ führte von Beginn an Sprachkurse für MigrantInnen durch. Die IPNews haben mit Mario Rieder, Leiter des Sprachenzentrums, folgendes Gespräch über Auswirkungen und Verbesserungsmöglichkeiten der Integrationsvereinbarung geführt.
beschreiben:
Wir haben in der Volkshochschule Ottakring sämtliche Bildungsprojekte und Bildungsmaßnahmen für MigrantInnen unter dem Begriff “LernRaum Ottakring” zusammengefasst. Das Spektrum dieser Bildungsmaßnahmen reicht von Spracherwerb, Sprachförderung, Alphabetisierung bis hin zum zweiten Bildungsweg. Meine Funktion ist, diesen Bereich zu leiten. Ein zweiter Schwerpunkt liegt im Bereich der Kurse „Deutsch als Zweitsprache“.
In welchen Bereichen haben Sie mit der Umsetzung der Integrationsvereinbarung zu tun?
Wir veranstalten keine Integrationskurse, die aus unserer Sicht nur einen Weg darstellen, die Integrationsvereinbarung zu erfüllen. Unser Ziel ist es, die Lernenden dabei zu unterstützen, auf freiwilliger Basis Sprachkenntnisse zu erwerben, die dann auch den Anforderungen der Integrationsvereinbarung entsprechen. Die Integrationsvereinbarung sieht prinzipiell auch die Möglichkeit des Erwerbs von Sprachkenntnissen auf freiwilliger Basis vor, wobei dann die Sprachkenntnisse durch die Beamten anerkannt werden. In diesem Bereich bieten wir Beratung und Kurse an.
Was bedeutet die Integrationsvereinbarung aus Ihrer Sicht für die MigrantInnen?
Pauschale Urteile sind nur schwer zu fällen. Unser Eindruck ist aber, dass die Integrationsvereinbarung bei vielen MigrantInnen große Verunsicherung auslöst. Vielfach sind sie nicht ausreichend darüber informiert, was die Integrationsvereinbarung für sie tatsächlich bedeutet. Die meisten glauben, dass sie Deutschkurse verpflichtend besuchen müssen oder wissen mit den Gutscheinen, die sie erhalten haben, vielfach nichts Konkretes anzufangen. Durch diese Verunsicherung sinkt auch die Bereitschaft der MigrantInnen, sich auf Lernangebote einzulassen, die ihrer Situation besser entsprechen würden, aber eben nicht Integrationskurse im engeren Sinn sind.
Auch die anfallenden Kosten sind ein wichtiger Faktor. Eine realistische Kalkulation für einen Kurspreis beläuft sich auf 500 – 600 € pro TeilnehmerIn. Es gibt Institutionen, die die Kurse billiger anbieten, diese können dann aber oft nicht wirklich kostendeckend arbeiten.
Für die MigrantInnen ergibt sich oft eine erhebliche finanzielle Belastung, da höchstens 180,- € zurückerstattet werden. Ähnliches gilt auch für den Sprachkenntnisnachweis, der im Schnitt auch 70,- € kostet, wobei nur ungefähr 30% der Kosten erstattet werden.
Welche Folge ergeben sich Ihrer Meinung nach aus der Integrationsvereinbarung für MigrantInnen?
Sie bringt ein ziemlich breites Spektrum an Problemen mit sich, wobei ich vorher einschränkend sagen möchte, dass die realen Probleme für die MigrantInnen dann oft nicht so schwerwiegend sind wie zunächst befürchtet. Das liegt vor allem daran, dass in der Praxis sehr viele von der Integrationsvereinbarung ausgenommen sind. Es ist für die MigrantInnen aber oft ein langer Weg, um darauf zu kommen, dass sie gar nicht betroffen sind.
Die Integrationsvereinbarung hat aber auch einen negativen Einfluss auf die Diskussion im Bereich Integration im allgemeinen. Erstens halte ich die Verknüpfung von Integration und Sprachkenntnissen, vor allem Deutschkenntnissen, für nicht sinnvoll. Die Integrationsvereinbarung hat die Tendenz verstärkt, dass Integration vor allem als Leistung der MigrantInnen gesehen wird und nicht als gesellschaftlicher Prozess, zu dem alle gesellschaftlichen Kräfte beitragen müssen.
Zweitens erzeugt sie meiner Meinung nach die Illusion, dass Integration durch Sprachkenntnisse messbar ist. Die Diskussion um die Bedeutung von Mehrsprachigkeit gerät dadurch stark ins Hintertreffen, die Tatsache, dass gerade MigrantInnen über oft eine großartige Mehrsprachigkeit verfügen, wird als Wert nicht wahrgenommen. Das steht meiner Meinung nach auch im Gegensatz zum “Europäischen Referenzrahmen”, auf den sich die Integrationsvereinbarung zwar bezieht. Dieser besagt nämlich, dass Sprachkenntnisse des Menschen nicht eindimensional in einer Sprache feststellbar sind und immer im Zusammenhang mit den anderen Sprachkenntnissen gesehen werden müssen. Es besteht die Gefahr, dass positive Entwicklungen der Vergangenheit wieder ins Hintertreffen geraten, die Diskussion durch Tendenzen bestimmt wird, die eigentlich integrationshinderlich sind. Darin liegt für mich das eigentliche Hauptproblem der Integrationsvereinbarung.
Ein zweites großes Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass als Folge der Integrationsvereinbarung eine gewisse Nivellierung der Qualitätsstandards am Anbietermarkt stattgefunden hat. Die Qualitätsstandards, wie sie zum Beispiel in Wien im Rahmen der Sprachoffensive erfüllt wurden, werden im Rahmen der Integrationsvereinbarung nicht erreicht. Dort gibt es Anbieter, die für die Sprachoffensive aus Qualitätsgründen nicht in Frage gekommen
sind bzw. kaum über Erfahrungen im Sprachenunterricht verfügen. Zusammenfassend, in den Bereichen Mehrsprachigkeit, Integration und Qualitätsentwicklungen auf dem Sprachsektor zeigen sich negative Folgen der Integrationsvereinbarung.
Wie sollte die Umsetzung verbessert werden?
Wirkliche Verbesserungen könnte es nur durch eine Novellierung des Gesetzes bzw. der entsprechenden Verordnungen geben. Sprachkenntnisse sollten eigentlich nicht Gegenstand fremdenrechtlicher Bestimmungen sein, Verpflichtung und die Sanktionen sollten wegfallen.
Im Gegenzug sollten MigrantInnen einen Rechtsanspruch auf die Förderung des Spracherwerbs haben. Prinzipiell haben MigrantInnen von vorneherein eine sehr hohe Motivation, die Sprache zu lernen. In der Realität fehlen dann aber oft die Möglichkeiten, weil es die entsprechenden Kurse nicht gibt, weil die nicht entsprechende Infrastruktur fehlt. Dabei ist in Wien die Situation etwas besser als in den anderen Bundesländern. Aber auch wir erleben es immer wieder, dass wir potentielle KursteilnehmerInnen wieder wegschicken müssen, weil wir nicht die entsprechenden Kurse zur Verfügung stellen können. Wenn es ein Recht darauf gäbe, den Spracherwerb als Integrationsmaßnahme gefördert zu bekommen, wäre das für mich ein positiver Punkt.
Im europäischen Vergleich von Ländern, die verpflichtende Sprachkurse haben, liegt Österreich bei der Förderung pro Teilnehmer weit abgeschlagen im unteren Rang. Es müssten einfach mehr Mittel zur Verfügung stehen. Und es müssten differenzierte Kursmodelle gefördert werden. Es müsste Alphabetisierung gefördert werden, und es müsste den MigrantInnen mehr Zeit gegeben werden, die Sprache zu erwerben.
(09/2004)