An der Fachtagung Messen – Bewerten – Prüfen im Kontext Deutsch als Zweitsprache am 18. und 19. Februar 2022 haben 37 nationale und internationale Expert*innen mitgewirkt und über 160 Personen teilgenommen. Aktuelle bildungs- und sprachwissenschaftliche Perspektiven auf die Praxis der Sprachkompetenzfeststellungen wurden mit Praxiserfahrungen aus allen Bildungsstufen in Zusammenhang gebracht. Auf der Grundlage dieses Forschungs- und Erfahrungswissens wurde am Ende der Tagung vom Netzwerk SprachenRechte dieser Forderungskatalog formuliert.
1. Sprachentests und Sprachkompetenzen von der politischen Instrumentalisierung befreien.
Denn: Deutschtestungen (wie MIKA-D und Integrationsprüfungen) sollen nicht als Zugangstestungen missbraucht und mit existentiellen Konsequenzen (Aufenthalt, Familienzusammenführung, Staatsbürgerschaft, Sozialleistungen und Zugang zu Ausbildungen und Regelschulsystem) verbunden werden. In Testungen verpackte Selektionen/Diskriminierungen sollen nicht an Lehrende und Lernende delegiert werden. Strukturelle Schwächen des Bildungs- und Integrationssystems dürfen nicht Individuen zugeschrieben werden.
2. Vielfältige Migrationsrealitäten und diverse Bildungssprachen anerkennen.
Die Vorstellung von Migration als einmaliges Ereignis im Leben eines Menschen, auf das ein Prozess der Assimilation oder Rückkehr ins Herkunftsland folgt, ist realitätsfern und überkommen. In einer Gesellschaft, die durch vielfältige Migrationsrealitäten gekennzeichnet ist, kann Deutsch nicht die alleinige Bildungssprache sein.
3. Ausreichend Ressourcen schaffen und auf sorgsamen Umgang achten.
Ressourcenzuteilungen an Schulen sollen von Zuweisungstests (wie MIKA-D oder Schuleingangsscreening) entkoppelt werden. Finanzielle sowie personelle Ressourcen, die gegenwärtig in die Entwicklung von Zugangstestungen fließen, sollen für Forschung, Evaluation, sprachliche Förderung und ausreichend pädagogisches und sozialpsychologisches Personal umgewidmet werden.
4. Transparente, evaluierte und diskriminierungskritische Bildungsinstitutionen aufbauen.
Es braucht Transparenz in Bezug auf Inhalt, Ablauf und Konsequenzen der auf allen Ebenen des Bildungs-, Ausbildungs-, Fortbildungswesens eingesetzten Aufnahme-, Diagnose- und Beurteilungsverfahren. Qualität, Wirksamkeit und Folgen der eingesetzten Verfahren müssen regelmäßig unabhängig evaluiert werden. Andere Sprachen als Deutsch sollen in Zulassungsverfahren positiv anerkannt werden.
5. Partizipation als Grundprinzip des Bildungswesens verankern.
Alle Akteur*innen im Feld (Pädagog*innen, Lehrer*innen, Eltern, Schüler*innen, Teilnehmer*innen in der Erwachsenenbildung und Forschende) sollen mit ihren Erfahrungen und ihrer Expertise verstärkt einbezogen werden.
6. Förderdiagnostik entwickeln statt Selektion durch Testungen.
Auf allen Bildungsstufen (Kindergarten bis Erwachsenenbildung) gibt es den Wunsch nach Förderdiagnostik statt einem Selektionszwang durch Deutschtests. Gefordert wird die forschungsbasierte Entwicklung von alternativen, entwicklungsbegleitenden und flexiblen Diagnoseverfahren, die Mehrsprachigkeit einbeziehen.