Artikel von Nina Horaczek im „Falter“ Nr. 29/04 vom 14.07.2004
Zulassungsverfahren, Familienverfahren, Abschiebeschutz, subsidärer Schutz – wer blickt da noch durch? Asylwerbern, die nach dem 1. Mai nach Österreich geflüchtet sind, bleibt wenig anderes übrig, als sich mit dem seltsamen Vokabular von Fremdenrechtsjuristen vertraut zu machen.
Seit diesem Zeitpunkt entscheiden die Beamten in „Erstaufnahmezentren“ in einem Schnellverfahren binnen 72 Stunden, wer zum Asylverfahren zugelassen und wer abgeschoben wird. „Fremde, die mit dem österreichischen Rechtssystem und der Sprache nicht vertraut sind und geflohen sind, wären daher gefährdet, in einem solchen Verfahren ihre Rechte nicht ausreichend wahrnehmen zu können“, steht im neuen Asylgesetz. Drei Informationsblätter, eine Erstinformation, eine Orientierungsinformation und ein Merkblatt werden Asylwerbern deshalb beim Einreichen ihres Antrages in die Hand gedrückt. Übersetzt wurde diese insgesamt zehn A4-Seiten lange Information in 37 Sprachen. Sie sollen den Asylwerbern ihre Rechte und Pflichten erklären. Wer sich nicht an die Regeln hält und zum Beispiel das Erstaufnahmezentrum verlässt, fliegt aus dem Verfahren. Und wer innerhalb dieser 72 Stunden seine Fluchtgründe nicht überzeugend offen legt, wird auch abgelehnt.
Aber helfen diese Infoblätter überhaupt? Nein, heißt es in drei verschiedenen Gutachten, die Experten im Auftrag der „Arbeitsgemeinschaft Sprachenrechte“ verfassten. Die Arbeitsgemeinschaft ist ein Zusammenschluss von Juristen und Sprachwissenschaftern, die sich mit Fragen zur Gesetzgebung und Sprache beschäftigen. „Es ist aus linguistischer Sicht zu bezweifeln, dass diese Informationstexte dazu beitragen, Asylwerber so zu informieren, dass sie mithilfe dieser Texte sinnvoll handeln können“, meint etwa Florian Menz, Professor am Institut für Sprachwissenschaft in seiner Stellungnahme. Er kritisiert, dass viele Sätze deutlich mehr als zwanzig Wörter haben. Die Wortanzahl sei viel zu hoch, bei einmaligem Durchlesen könne der Inhalt eines solchen Satzes nicht erfasst werden.
Ebenfalls vernichtend fallen die beiden Stellungnahmen der Ethnologin und Psychotherapeutin Ruth Kronsteiner aus. „Haben Sie Folterspuren oder haben Sie psychische Probleme, die mit traumatischen Erlebnissen in Ihrem Heimatland zusammenhängen, so teilen Sie das unbedingt sofort einem Arzt und einem Rechtsberater mit“, heißt es in der „Erstinformation“. Damit setze der Gesetzgeber eine Selbstdiagnose der Asylwerber voraus, kritisiert die Psychotherapeutin. Es sei zwar erkannt worden, dass Asylwerber in ihrem Heimatland oft Folterungen oder sexueller Gewalt ausgesetzt waren. Aber: „Eine Beschreibung der traumatischen Gewalttat ohne psychotherapeutische Vorbereitung wirkt retraumatisierend.“
Auch Sätze wie „Wenn Ihnen der Bescheid der Behörde über Ihr Asylverfahren nicht persönlich zugestellt werden kann, können Sie die Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels versäumen“, seien für Menschen aus einem anderen Kulturkreis äußerst verwirrend. „Die Sprache bedient sich eines Vokabulars, das auch im Deutschen nur Menschen ab einem bestimmten Bildungsniveau verständlich ist“, schreibt Kronsteiner in ihrem Gutachten.
Im Innenministerium versteht man die Aufregung nicht. „Bei diesen Informationsblättern wurde jeder Satz mit dem UN-Flüchtlingshochkommissariat akkordiert“, sagt Johannes Rauch, Sprecher von Minister Ernst Strasser, „außerdem wurden die Blätter von Dolmetschern in alle erforderlichen Sprachen übersetzt.“ Und sogar jene Asylwerber, die des Lesens nicht mächtig sind, habe man nicht vergessen: „Für sie wurden extra Touch-Screens mit Videos über den Ablauf des Asylverfahrens aufgestellt.“
Die Gutachten sind im Internet unter http://sprachenrechte.at abrufbar.
Falter Nr. 29/04 vom 14.07.2004
Ressort: Politik
Nina Horaczek