Integration durch Deutschlernen – ein falsches Versprechen?

Vortrag von Prof. Hans-Jürgen Krumm
Tagung “LernRaum Wien”, VHS Ottakring, Wien 24.10.2003
In zwei Politikbereichen wird Sprache derzeit unter dem Gesichtspunkt der Integration diskutiert, zum einen im Hinblick auf die Zuwanderer und ihre Integration in die Aufnahmegesellschaft, zum andern bei der Diskussion um die europäische Integration.
Ich will heute auf die Entwicklung in beiden Bereichen eingehen mit dem Ziel, das Verständnis von Integration und die Rolle von Sprache in beiden Diskursen herauszuarbeiten und deutlich zu machen, wo die öffentliche Sprachförderung eine andere Richtung einschlagen muss, wenn sie Integration wirklich ernst meint.1. „Einheit in der Vielfalt“ – Mehrsprachigkeit als Grundlage einer European Citizenship

Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf den Prozess des Zusammenwachsens Europas richten: Hier hätte es ja nahe gelegen – und die sprachlichen Akzente der EU bis Mitte der 90er Jahre wiesen auch in diese Richtung – das neue supranationale Gebilde EU dadurch Wirklichkeit werden zu lassen, dass man ihm eine gemeinsame Sprache verordnet: eine Sprache als integrierendes Element und neues Kennzeichen der europäischen Einheit. Zumindest in der politischen Programmatik hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein solches Europa von den Bürgerinnen und Bürgern nicht akzeptiert wird.

Die Plakattafeln und Anzeigen mit Slogans wie „Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat“, die während der Abstimmung über den österreichischen EU-Beitritt an den Autobahnen rund um Wien zu sehen waren, sind ein Hinweis darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger den Prozess der europäischen Integration nur mittragen, wenn ihre Muttersprache und ihre heimatliche kulturelle Prägung, ihre sprachlich-kulturelle Identität in diesem Prozess erhalten, legitimiert und gefördert wird, und zwar nicht nur in einem nationalen Ghetto, sondern als Bestandteil der supranationalen europäischen Entwicklung. Deshalb legen die meisten Regierungen europäischer Länder Wert darauf, dass die jeweilige Landessprache in den anderen EU-Ländern als Fremdsprache angeboten und gefördert wird. Nicht nur Deutschland, Frankreich und England, auch kleinere Länder wie Dänemark, Slowenien und Österreich entsenden LektorInnen ins Ausland, damit die Menschen in anderen Ländern einen Zugang zu ihrer Sprache finden können.

„Europas Vielfalt manifestiert sich besonders deutlich in seinen Sprachen. Wenn die Bürger jedoch von dieser Vielfalt profitieren wollen, müssen sie in der Lage sein, miteinander zu kommunizieren.“
In den verschiedensten Deklarationen und Programmen – dies hier ist die Formulierung aus dem EU-Bildungsprogramm bis 2010 – hat die Europäische Union daher festgeschrieben, dass eine entwickelten mehrsprachige Handlungsfähigkeit der Bürger erreicht werden muss, wenn Europa als demokratisches Gemeinwesen funktionieren soll. Wer die Nachrichten in Funk und Fernsehen nicht verfolgen, wer an öffentlichen Debatten nicht teilnehmen und keinen Gebrauch von den neuen Informationstechnologien machen kann, ist vom politischen Diskurs ausgeschlossen – das gilt für die nationale ebenso wie für die supranationale europäische Ebene. Hier kommt allerdings hinzu, dass die eigene Muttersprache nur funktioniert, wenn andere sie als Fremdsprache gelernt haben und verstehen, so wie man selbst Menschen, die eine andere Sprache sprechen, verstehen können muss. Da Europa als politisches Gebilde insgesamt wie auch in den einzelnen Ländern verschiedene Sprachen umfasst, hängt das Bewusstsein dazuzugehören und an der Entwicklung teilhaben zu können, ganz entscheidend von der Fähigkeit ab, in mehreren Sprachen kommunizieren zu können.

„Die Bedeutung einer mehrsprachigen Kompetenz ist eine doppelte“, heißt es entsprechend in einer Erklärung des Europarats von 2002: „ Erstens erlaubt sie die Teilnahme an den demokratischen Prozessen, und zwar nicht nur im Heimatland, sondern auch in anderen Sprachen und Sprachräumen“. Zweitens führt die Entwicklung einer mehrsprachigen Kompetenz zu einem größeren Verständnis der Mehrsprachigkeit anderer Menschen und zu einem Respekt vor Sprachenrechten, nicht zuletzt denen von Minderheiten und weniger verbreiteten Sprachen.“ (Council of Europe 2002).

Hier ist zweierlei gesagt: Zum einen, dass Integration besser gelingt, wenn man viele Sprachen kann und lernt; zum zweiten ist hier auch formuliert, dass Sprachenrechte nicht teilbar sind, die europäische Konzeption der Mehrsprachigkeit vielmehr auch für die Sprachen der Zuwanderer und Minderheiten gelten muss – noch sind wir weit davon entfernt – die Europäische Union insgesamt wie Österreich im Besonderen zeichnen sich durch eine ungleiche Verteilung von Sprachenrechten aus; das gilt für die nationalen Minderheiten ebenso wie für die Zuwanderer und ihre Sprachen.

Die Tatsache, dass der Wunsch eines einzigen Kindes in einer Kärntner Schule, von seinem Recht auf zweisprachige Erziehung Gebrauch zu machen, im Jahr 2002 sogleich zur Beschwörung der Ängste vor „Slowenisierung“ führte , ist dafür nur ein besonders herausragendes Signal.
Programme zur Förderung der Herkunftssprachen der Zuwanderer bleiben, wo es sie überhaupt in ausreichendem Maße gibt, streng getrennt von der Sprachenförderung für die jeweilige Mehrheitsbevölkerung.

Und auch für diese sind wir von der Verwirklichung einer real mehrsprachigen Gesellschaft weit entfernt, manche Zahlen sprechen eher dafür, dass wir uns von der Förderung der Mehrsprachigkeit weiter weg hin zur Förderung allgemeiner Zweisprachigkeit Deutsch plus Englisch bewegen – dafür sind zahlreiche Gründe immer wieder genannt und diskutiert worden, im Zusammenhang mit dem Gedanken der Entwicklung einer mehrsprachigen europäischen Identität ist vor allem der Hinweis wichtig, dass wir nach wie vor Sprachen isoliert unterrichten und prüfen, statt – wie dies in einem sprachenteiligen Europa angemessen wäre – den Sprachbesitz der Menschen jeweils in seiner Gesamtheit zu betrachten.

Wir leben in sprachlich vielfältigen und unterschiedlichen Kommunikationsräumen, lokalen, regionalen, nationalen und übernationalen, in beruflichen wie in privaten – überall fordert kommunikative Teilhabe spezifische sprachliche Fertigkeiten und Fähigkeiten: regional brauchen wir Dialekte, aber vielleicht auch die Sprachen der Minderheiten und Zuwanderer, national insbesondere Deutsch, international dann Englisch und all die Sprachen, in denen wir Beziehungen aufbauen, kulturelle, wirtschaftliche und politische Kontakte anbahnen wollen – europäische Integration bedeutet, für unterschiedliche Kommunikationsräume auch unterschied-liche Sprachenregelungen zuzulassen. Es wäre dies, um es plakativ zu sagen, das Konzept, das ursprünglich hinter der Idee der Sprachenportfolios steht, in denen jeder individuelle Sprachkenntnisse und Lernziele dokumentiert, nicht das Konzept der vereinheitlichenden Niveaustufen und Zertifikate. Diese implizieren, dass man quasi in jeder Sprache das gleiche können soll, während es doch darum geht zu erkennen, dass man für das, was man in einer Sprache kann, die anderen Sprachen nicht braucht – und damit für verschiedene Sprachen unterschiedliche Funktionen, Profile und Handlungsfähigkeiten entwickeln kann. Nach dem Vorbild der Arbeits-teilung ließe sich in diesem Zusammenhang von einer sprachenteiligen Gesellschaft sprechen. Erst in einem solchen Konzept der Sprachenteiligkeit hätten die unterschiedlichen sprachlich-kulturellen Traditionen der Europäer, der Mehrheitsbevölkerung wie der Minderheiten und Zuwanderer, ihren je eigenen wichtigen Stellenwert.
Mit einem solchen Konzept nähern wir uns einer zukünftigen europäischen Identität: als Europäer eint uns nicht eine gemeinsame Sprache – einigendes Kennzeichen der Europäer in sprachlicher Hinsicht ist im Gegenteil die Tatsache, dass wir verschiedene Sprachen haben und mit diesen verschiedenen Sprachen miteinander leben wollen.

2. „Wer zu uns kommt, muss zu uns passen“ – was verlangt ein Deutschkurs von den Zuwanderern ?

Werfen wir nun einen Blick auf die sog. Integrationsvereinbarung oder vergleichbare Gesetzesvorhaben etwa in Deutschland, so ist dort eine ganz andere Tendenz zu erkennen: Zuwanderer werden nicht auf Grund ihrer Mehrsprachigkeit in die Aufnahmegesellschaft aufgenommen, vielmehr wird der Deutschkurs zur zentralen Voraussetzung.
So heißt es in der seit 1.1.2003 gültigen sog. Integrationsvereinbarung:
Die Integrationsvereinbarung dient der Integration auf Dauer niedergelassener Fremder. Sie bezweckt den Erwerb von Grundkenntnissen der deutschen Sprache zur Erlangung der Befähigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich. Diese Befähigung kann durch den Besuch eines Deutsch-Integrationskurses erworben werden.

… § 50a (2)
Ganz ähnlich suggerieren der Entwurf des deutschen Zuwanderungsgesetzes ebenso wie die in seinem Gefolge vom deutschen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) vorgelegten Erlasse und Regelungen, dass es einen direkten Weg vom Deutschkurs zur Integration der Zuwanderer in unsere Gesellschaft gebe.

Ziel der Sprachkurse ist die Förderung der sozialen und beruflichen Integration von ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen. Dieses Ziel soll durch die Vermittlung oder Verbesserung der sprachlichen Kompetenz erreicht werden. Dazu ist ein handlungsorientierter Sprachunterricht erforderlich, der auf die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit in der deutschen Sprache ausgerichtet ist und sich an der realen Situation órientiert, in der sich die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen befinden. Auf die Situation der ausländischen Frauen soll durch besondere Sprachkurse eingegangen werden.
(www.bafl.de/template/integration … 15.09.2003; Richtlinien § 1.2 Ziel der Sprachkurse)

Staatliche Sprachkurse für Zuwanderer senden insofern eine doppelte Botschaft aus:
– zum einen: wer sich integrieren will, müsse sich uns anpassen – und diese Anpassung beweise man durch den Erwerb der deutschen Sprache
– zum zweiten: wenn über mangelnde Integration von Zuwanderen geklagt werde, so liege die Schuld ja bei diesen, da sie nicht bereit seien, unsere Sprache zu lernen – weshalb ein wohlwollender Staat sie dann zu ihrem Glück zwinge.
So sehr zu begrüßen ist, dass versucht wird, in Gesetzen die Zuwanderung zu regeln und dabei vom Grundgedanken der Integrationsförderung auszugehen, so sehr zu begrüßen ist, dass der Aufnahmestaat endlich die Verantwortung für den Spracherwerb mitübernimmt, so sehr ist zu bedauern, dass bei der Umsetzung der jeweiligen Gesetze ganz andere Tendenzen als solche der Integrationsförderung durchschlagen, nämlich vor allem solche der inneren Sicherheit und der Ausgrenzung nichtdeutschsprachiger Menschen.

Im Kern geht es offenbar nur um die populistische Verpflichtung der Zuwanderer zu Sprachkursen, die möglichst kostengünstig umgesetzt werden und die sich durchaus auch als Sanktionsinstrumentarium nutzen lassen.
Der vom deutschen Bundesrat bereits genehmigte Entwurf einer „Ausländerintegrationskursverordnung“ schließt, sozusagen als Offenbarungseid, dass Integration letzen Endes gar nicht beabsichtigt ist, „ergänzende Integrationsangebote“ explizit aus (Vgl. § 2(1) D).

Für Österreich zeigt die am 23.11.2003 im Nationalrat beschlossene Novelle des Asylgesetzes, dass die eigentliche Intention des staatlichen Umgangs Umgangs mit Menschen, die zu uns kommen, nicht die Aufnahme und Integration ist. Das Gesetz ist zwar nach Auffassung nahezu aller Experten verfassungs-, völkerrechts- und menschenrechtswidrig, erfüllt aber offenbar den beabsichtigten politischen Zweck der Ausgrenzung und Vertreibung von Flüchtlingen.

Ich zitiere dazu aus dem „Europäischen Alphabet“ von Karl-Markus Gauß (1997, 7-8), Stichwort Auswanderung:
„Die größte burgenländische Stadt war lange Zeit nicht im Burgenland, nicht einmal in Österreich zu finden, sondern in den Vereinigten Staaten von Amerika. In den letzten Jahrhunderten der Monarchie und den ersten der Republik hatten so viele Burgenländer die Heimat verlassen, daß mehr von ihnen bald nirgendwo als in Chikago wohnten, dem als zweitgrößte burgenländische Stadt Wien folgte, die dem Burgenland immerhin näher liegt als die drittgrößte, New York. Erst an vioerter Stelle kam mit Eisenstadt eine Gemeinde, die auch tatsächlich zum Territorium des Bundeslandes im Osten von Österreich gehört. Gegen neunzigtausend Burgenländer haben in den USA, in Australien, in den verschiedensten Ländern, auf allen Kontinenten das Ziel ihrer Auswanderung erreicht, einen Ort, an dem sie bleiben konnten und mit den Ihren leben wollten. Heute glauben viele Burgenländer, daß es höchste Zeit ist, sich vor Überfremdung zu schützen. Gemeint ist aber weder, daß alle ihre Freunde und Verwandten, wo immer sie sich in der Fremde ansässig gemacht haben, wieder in die Heimat zurückkehren sollen, noch daß Chikago sich ausländerfrei, also zur rein burgenländischen Metropole erklären müsse. Gemeint ist vielmehr, daß das Burgenland, das über Generationen so viele seiner Kinder ins Ausland exportierte, umgekehrt keinen Zuzug von Fremden ins Burgenland mehr gewähren dürfe, ob es sich um Arbeitsmigranten oder Flüchtlinge handelt.Denn die teure Heimat, die immer ein Auswanderungsland war, möchte kein Einwanderungsland werden. Und schließlich sind die vielen Burgenländer, die ihr Glück im Ausland suchten, auch keine Ausländer, sondern Burgenländer, indes der Ausländer gerade jener Schmarotzer ist, der ins Burgenland will.“

Die “doppelte Moral’ wird etwa deutlich, wenn einerseits bis in die Bundesregierung hinein der Erfolg des in den USA “integrierten’ Arnold Schwarzenegger in Österreich gefeiert wird, andererseits ein österreichischer Landeshauptmann, ohne zurücktreten zu müssen, öffentlich einen österreichischen Bürger und Amtsträger nur wegen seines nicht germanisch klingenden Namens lächerlich machen kann.
Die in der sog. Integrationsvereinbarung vorgenommene Gleichsetzung von Integration mit der Teilnahme an einem Deutschkurs basiert zum einen auf einem reduzierten Integrationsbegriff, zum andern auf einem Staats- und Nationenverständnis, in dem politische und sprachlich-kulturelle Grenzen zusammenfallen, wo es die eine, den Nationalstaat konstituierende Sprache gibt, durch die man seine Zugehörigkeit ausweist.

Zuwanderer bringen ein anderes als dieses national-mythische Verständnis von Sprache und Nation mit: auch für sie hat die Erstsprache vielfach eine die personale und kulturelle Identität prägende Bedeutung:
In gut einem Drittel aller von mir gesammelten Sprachenporträts malen Kinder wie Erwachsene, die eine Silhouette mit verschiedenen Farben für ihre jeweiligen Sprachen ausmalen sollten, die Erstsprache rot und als Herz. Die Sprache der Aufnahmeländer dagegen landet oft im Kopf oder in den Händen („eine nützliche Sprache“) oder aber in den Füßen („da möchte ich hin“). D.h. die Zuwanderer können trennen zwischen der identitätsstiftenden Erstsprache und einer mehrsprachigen Welt, in der andere Sprachen, wie ein Kind das ausdrückt, „Kommunikationsmittel Nr. 1“ sind.

Auch Marina, die zur russischen Minderheit in Estland gehört, hat das akzeptiert:
„Russisch“, so erklärt sie zu ihrem Sprachenporträt, „ist in meinem Herzen. Das ist meine Muttersprache. Ich liebe Russisch. Estnisch, meine Hände. Sie braucht mir wie die Hände. Ich wohne in Estland und ich muß diese Sprache können.“
Ca. 80% der befragten Kinder türkischer oder bosnisch-serbisch-kroatischer Herkunft in der Untersuchung von Koliander-Bayer betonen die affektive und sozioökonomische Bedeutung der Erstsprache auch in der Migrationssituation und das, obwohl sie wissen, dass die Zweitsprache die wesentliche Sprache für ihr Leben ist und auch in Zukunft sein wird; durchweg schätzen sie ihre Kenntnisse in der Erstsprache unrealistisch hoch ein.

Die enge Bindung des Selbstkonzepts an die Erstsprache verführt leicht dazu, dass Anderssprachige ausgegrenzt werden, führt aber auch zur Ablehnung von Mehrsprachigkeit, weil diese eine Gefährdung der mit der Erstsprache verknüpften Welt mit sich bringen könnte. Das kann auch für Zuwanderer gelten, wenn diese gezwungen werden, eine andere, dominierende Sprache zu übernehmen, und dadurch ihre Erstsprache bedroht sehen.

Unter meinen Sprachenporträts befinden sich knapp 10%, bei denen Menschen ihre Zwei- oder Mehrsprachigkeit als eine „Konfliktzweisprachigkeit“ darstellen, d.h. mit den Farben für Erst- und Zweitsprache ihre Silhouette in zwei Hälften trennen (vgl. Krumm 2001, 10-11). Die Spracherwerbsforschung weiß seit langem und Siebert-Ott hat dies 2001 in einer Analyse der internationalen Forschung noch einmal deutlich herausgearbeitet, dass ein Sprachwechsel z.B. zwischen Familien- und Schulsprache um so besser gelingt, je weniger er als Bedrohung für die Erstsprache angesehen wird.

Ganz im Gegensatz zu den europäischen Konzepten von Mehrsprachigkeit vernachlässigt die sog. Integrationsvereinbarung den Zusammenhang von Sprache und Identität, indem sie einseitig nur auf die Förderung der deutschen Sprache setzt, diese erzwingen will, jedoch nichts zum Wert, zur Förderung und zum Erhalt der Erstsprache sagen. Damit entlarvt sie sich als Instrument einer einseitigen Assimilation, nicht jedoch als Angebot, sich unter Einbeziehung der eigenen, herkunftssprachlich geprägten Identität zu integrieren. Wird Integration auf diese Weise nur über die Majoritätssprache definiert, so wird Sprache damit nicht zum Mittel der Integration, sondern zum Instrument der Unterwerfung oder der Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft – in einem solchen Verständnis von Zugehörigkeit ist es im Grunde nur folgerichtig, wenn das Fremdengesetz für alle, die den vorgeschriebenen Sprachkurs nicht erfolgreich absolvieren, das Ende der Niederlassungsbewilligung, d.h. die Abschiebung festschreibt. Damit wird nicht nur die sprachliche Heterogenität ausgeblendet, die de facto vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bis heute alle europäischen Länder charakterisiert – unter Maria Theresia war das Militär zehnsprachig – das Festhalten an einem staatlichen Monolingualismus zementiert die Ausgrenzung Anderssprachiger – bewirkt also das Gegenteil von Integration.

Integration stellt für die Zugewanderten in besonderem Maße einen identitätsverändernden Prozess dar. Die staatlichen Gesetze und Regelungen modellieren diesen Prozess als reine Anpassung an unsere monolingual strukturierte Gesellschaft. Genau darin liegt der Fehlschluss: die neue soziale und personale Identität der Zuwanderer kann nicht ebenso einsprachig sein wie ihre – oder auch unsere – herkunftssprachlich geprägte Identität, sie entwickelt sich vielmehr hin zu einer bikulturellen oder oft mehrsprachigen und mehrkulturellen Identität. Kein Mensch kann sich bei dem Wechsel in eine neue sprachliche und kulturelle Umgebung als tabula rasa verstehen und problemlos anpassen, vielmehr tendieren die meisten Menschen dazu, ihre vorhandene kulturelle Prägung (und diese schließt das Sprachverhalten ein) auch unter neuen Bedingungen als hoffentlich brauchbar festzuhalten, d.h. die Verteidigung der mitgebrachten Vorstellungen von sich selbst und der Welt und die Verarbeitung neuer sprachlich-kultureller Muster stehen in einem Wechselverhältnis – die Bereitschaft zur Einpassung in die neue Welt, die ja vielfach auch erstrebt und als positiv angesehen wird – und die Mitnahme des eigenen kulturellen Wertesystems müssen ausbalanciert werden, andernfalls besteht die Gefahr des Identitätsverlustes, der Sorge, nirgends mehr dazuzugehören, wie wir das aus Biographien von Remigranten ablesen können, des Schwankens zwischen den Sprachen und Gesellschaften, aber eben auch die Gefahr der Identitätsverhärtung , der Abkapselung gegenüber der Aufnahmegesellschaft und des Aufbaus einer Abwehrhaltung, wie sie inzwischen vielfach zu beobachten ist.

So malt z.B. ein albanischer Bub, der Deutsch ganz gut kann und braucht, weil er in Wien lebt seine Silhouette komplett blau (für Albanisch) aus, nur ein Fuß wird rot (für Deutsch) gemalt, d.h. er lässt die deutsche Sprache nicht in sich hinein.
Zuwanderer, die sich mit all ihren Sprachen als akzeptiert empfinden und die Mehrheitssprache nicht als Bedrohung für die eigene Identität wahrnehmen, zeichnen ein ganz anderes Selbstbild:
Ich habe Englisch und Deutsch in den Kopf geschrieben, weil das die beiden Sprachen sind, die ich zur Zeit am meisten benutze; deshalb denke ich auch meistens in diesen zwei Sprachen.
Spanisch sitzt in meiner Kehle, denn ich liebe es besonders, Spanisch zu sprechen.
Französisch ist im Fuß, weil ich es nicht mehr gut spreche, aber es ist immer noch irgendwo vorhanden.
Chinesisch habe ich in die Gegend von Brust und Herz gesetzt, denn damit sind alle meine Gefühle verbunden, meine Moral, die Regeln, an die ich mich halte, all das ist auf Chinesisch da, alles, was mit Emotion zu tun hat, tue ich auf Chinesisch.
Der 22jährige Pong, demonstriert sehr schön, dass eine mehrsprachige Identität, bei der durchaus andere Sprachen als die L1 dominieren, funktionieren kann, solange die dominierenden Sprachen die Erstsprache und die anderen mitgebrachten Sprachen nicht bedrohen.
Sprache, so lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen, dient keineswegs automatisch der Integration; der fälschlich „Integrationsvereinbarung“ genannte Absatz im österreichischen Fremdengesetz verfolgt mit seinem Zwang zum Sprachkurs eine monokulturelle und monolinguale Anpassungs- bzw. Ausgrenzungstendenz.

3 Punkte sind an dieser Stelle festzuhalten:

1: Integration ist ein zweiseitiger Prozess, der eine Respektierung der mitgebrachten Sprach- und Kulturerfahrungen durch die Mitglieder der Aufnahmegesellschaft sowie die Bereitschaft zur tatsächlichen Gleichstellung, rechtlich, wirtschaftlich, kulturell und politisch, einschließt
Damit ist nicht gemeint, dass verschiedene Ethnien in einem Vielvölkerstaat wie dem unsrigen isoliert nebeneinander leben – wohl aber der Verzicht auf einen homogenen, monolingualen Nationalstaat, den es in Reinform ohnehin nie gegeben hat. Gerade eine multikulturelle und multilinguale Gesellschaft bedarf einer Möglichkeit der Auseinandersetzung, der Verständigung, d.h. auch einer gemeinsamen Sprache als Voraussetzung für Begegnung und Interaktion. Die Förderung des Spracherwerbs ist daher durchaus Bestandteil integrationsfördernder Maßnahmen, aber eben nicht im Sinne der Verdrängung von Unterschieden, im Sinne einer Assimilation der einen an die anderen. Im Gegensatz zu der Forderung nach Assimilation zielt ein ernstgemeinter Integrationsbegriff auf „ die Vereinigung einer Vielheit zu einer Ganzheit“ (Stefanski 1994, 17). Möglich wird eine Ganzheit aber nur dadurch, dass einerseits die Zuwanderer an der Zuzugsgesellschaft teilhaben, andererseits auch die Aufnahmegesellschaft eine Bereitschaft zur Aufnahme entwickelt. Damit ein solcher Prozess gelingt, ist erforderlich:
zum einen ein Beitrag der Aufnahmegesellschaft, der sich mit Stichworten wie Abbau von Ethnozentrismus, Entwicklung von Toleranz, Suche nach den Ursachen von Rassismus umschreiben ließe (vgl. Schmalz-Jacobsen 1996),
zum zweiten die Existenz sozialstruktureller Bedingungen, die eine Integrationsmotivation schaffen und stützen (vgl. Heckmann 1992), etwa im Bereich des Aufenthaltsrechts, des Zugangs zum Arbeitsmarkt, u.ä.
und schließlich schlicht und einfach Zeit und optimale Unterrichtsbedingungen für das Lernen der Mehrheitssprache unter gleichzeitiger Anerkennung und Festigung der Erstsprache. Prüfungs- und sanktionsbeladene Sprachkurse leisten das nicht.

2: Zuwanderer wollen in der Regel die Sprache des Einwanderungslandes lernen, vorausgesetzt, es gibt positive Integrationsanreize und angemessene Sprachlernbedingungen.
Diese herzustellen sollte die vorrangige Aufgabe als VORAUSSETZUNG für die Verpflichtung zum Sprachkurs sein.
Es besteht wohl durchaus Einigkeit darüber, dass Zuwanderer Deutsch lernen müssen – allerdings muss sogleich hinzugefügt werden, dass sie das durchweg, soweit es ihnen durch uns nicht ausgetrieben oder schwer gemacht wird, selbst wollen. Dieser Wunsch nach sprachlicher Teilhabe liegt nicht zuletzt in der Erkenntnis auf Seiten der Zuwanderer begründet, dass die sprachliche Teilhabe Voraussetzung für die Teilhabe am Arbeitsmarkt und Wohlstand der Aufnahmegesellschaft ist. Zuwanderer beugen sich daher vielfach auch dem bestehenden Anpassungsdruck und sind an einem Erwerb und einer Benutzung der deutschen Sprache interessiert. Vorliegende Untersuchungen (ich verweise beispielhaft auf Koliander-Bayer 1998 und Buße 1995) belegen durchweg eine hohe Sprachlernmotivation – Abkapselungen, „ethnische Nischen“ sind in aller Regel erst die Folge einer durch die Zuzugsgesellschaft verweigerten Integration.

3: Zuwanderer sind nicht sprachlos – Sprachförderung ist dann erfolgreich, wenn sie die die vorhandenen Spracherfahrungen einbezieht.
Die einseitige Ausrichtung an den Niveaustufen des Referenzrahmens in nur EINER Sprache nimmt den Sprachenreichtum der Zuwanderer nicht zur Kenntnis und isoliert die Sprachen voneinander, statt die Kenntnisse der deutschen Sprache als integrierte Bestandteile einer multilingualen Kompetenz zu sehen. Durch solche Maßstäbe werden Zuwanderer „sprachärmer“ gemacht, als sie eigentlich sind.
Die Tatsache, dass Zuwanderer immer schon Sprachen mitbringen, scheint in der politischen Diskussion, gelegentlich aber auch in der Sprachdidaktik vergessen zu werden: Ausgangspunkt der Vorstellungen ist immer noch die Defizithypothese * „die können ja kein Deutsch“. Nur solange diese Defizithypothese aufrechterhalten wird, lässt sich der Erwerb der Zweitsprache als ein Akt der Zwangsassimilierung vertreten: die angeblich Sprachlosen werden erst mit dem Deutschkurs zu vollgültigen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft.
Die Mehrsprachigkeit von Zuwanderern weist auf Grund der unterschiedlichen Migrationsgeschichten und Sprachbiographien vielfältige Formen auf . Barbara beschreibt das so:
Meine Muttersprache ist Ungarisch, darum denke ich Ungarisch. Meine Zweitsprache ist Deutsch, weil ich in Österreich lebe. Meine zweite Zweitsprache ist Englisch, weil ich in der Schule sehr viel Englisch lerne. Meine Fremdsprachen sind Tschechisch, Slowakisch und Croatisch, weil ich sehr viele Freunde aus Tschechien, Slowakei und Croatien habe. Meine letzte Fremdsprache ist Französisch, weil ich französischen Nachbarn habe.

Joyce aus Nigeria formuliert ihre Einstellung zu ihren Sprachen wie folgt:
Deutsch ist bei mir in den Händen, weil ich damit am besten vermitteln kann.
Yoruba ist bei mir im Körper, weil der Körper nicht hören kann und ich kann Yoruba nicht so gut verstehen.
Englisch ist bei mir im Kopf, weil ich mich manchmal ziemlich konzentrieren muss, um Vokabeln zu merken.
Französisch ist bei mir in den Beinen weil es für mich sehr fern liegt es richtig zu lernen, obwohl das mein Wunsch ist. Und um in die Ferne zu gehen muss man Beine haben.

Würden wir diese Menschen einer standardisierten Sprachprüfung in Deutsch aussetzen, würden sie teilweise schlecht abschneiden, da die Prüfungen sich an den Niveaustufen und Skalen orientieren, so als wäre der Lernfortschritt in einer Sprache für alle Sprachhandlungsräume gleich. Solch ein Maßstab – A1 oder A2 des europäischen Referenzrahmens – muss gleichzeitig in allen Fertigkeiten erreicht werden. Damit wird aus der mehrsprachigen Kompetenz ein isoliertes Stück herausgeschnitten, so als existierten die Sprachen im Menschen säuberlich getrennt. Der völlig differente multikompetente Sprachbesitz der Zuwanderer wird überhaupt nicht erfasst. Die Rolle, die etwa Schriftlichkeit für diese spielt und spielen sollte, ist von der Perspektive der muttersprachlichen Testautoren bestimmt – nur mit Mühe konnte die Urlaubspostkarte aus den entsprechenden Tests herausgehalten werden. Keiner der vorhandenen Zuwanderer-Sprachtests versucht, deren Fähigkeiten in verschiedenen Sprachen als eine Einheit zu sehen, in der sich Kommunikationsfähigkeiten aus diesen verschiedenen Sprachen auch ergänzen können, so wie in diesen Sprachenporträts erst das Zusammenspiel der Farben, d.h. Sprachen die Person insgesamt ausmacht.

Dabei enthält der Europäische Referenzrahmen für Sprachen eine wichtige Warnung vor einer linearen Umsetzung von Niveaustufen in einheitliche Standards für alle:
„Der herkömmliche Ansatz beschreibt das Fremdsprachenlernen so, dass man seiner muttersprachlichen Kommunikationskompetenz einzelne Bestandteile der Kompetenz, in einer fremden Sprache zu kommunizieren, hinzufügt. Das Konzept einer mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz hingegen tendiert dazu, … in Betracht zu stellen, dass ein Mensch nicht über eine Ansammlung von eigenständigen und voneinander getrennten Kommunikationskompe-tenzen verfügt, je nachdem, welche Sprachen man kennt, sondern vielmehr über die einzige mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz, die das ganze Spektrum der Sprachen umfasst, die einem Menschen zur Verfügung stehen.“ (Europarat 2001, 163).

Und an anderer Stelle:
„Lernfortschritt ist nicht nur einfach das Vorankommen auf einer vertikalen Skala. Es gibt keinen zwingenden logischen Grund dafür, dass Lernende sämtliche niedrigeren Stufen einer Teilskala durchlaufen müssen. … Man sollte sich schließlich davor hüten, Niveaus und Sprachkompetenzskalen als eine lineare Mess-Skala – wie z.B. einen Zollstock – zu interpretieren“ (Referenzrahmen S. 28 f.).
Diese differenzierte Sicht auf sprachliche Kompetenz wird allerdings im Referenzrahmen nicht durchgehalten, sondern dem Interesse an der Abprüfbarkeit in jeweils einer Sprache und den vereinheitlichenden Niveaustufen geopfert – ich verweise hierzu auf die Kritik im Sammelband der 22. Frühjahrskonferenz (Bausch et al 2003).

3. „Einen Toast ausbringen“ oder: wann ist man sprachlich integriert ?

Aus der Perspektive der Mehrsprachigkeit ist es nicht akzeptabel, wenn Gesetze, Verordnungen und Standards jeweils ein bestimmtes Sprachniveau ganz undifferenziert und ohne Rücksicht auf die Vielsprachigkeit festschreiben und wenn Einheitssprachekurse keine Rücksicht auf die Kommunikationsbedürfnisse der Zuwanderer nehmen. Genau das aber ist bei uns der Fall. Für die Zuwanderer ist die im Europäischen Referenzrahmen für Sprachen als Niveaustufe A1 beschriebene Sprachkompetenz festgeschrieben:

A 1: Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zur Person stellen – z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.

Angesichts solcher Vorgaben ist zu fragen, ob es hilft, wenn ein türkischer oder albanischer Mann in Österreich andere Menschen Fragen kann, wo sie wohnen oder was für Dinge sie haben – wird er dann nicht eher als potentieller Einbrecher betrachtet ? Darf er problemlos eine junge Frau danach fragen, wo sie wohnt?
Und selbst wenn – hilft das zur Integration? Wäre es da nicht wichtiger, früh zu lernen, mit Missverständnissen umzugehen, Nein zu sagen ? Im Referenzrahmen wird als Beispiel für die einfachen Sätze, die man können sollte, „einen Toast ausbringen“ angeführt.

Wenn Sprache eine zentrale Voraussetzung und Grundlage für das Gelingen von Integrationsprozessen bilden soll, dann heißt das, dass untersucht werden muss, welche Sprache denn gelernt werden soll, welche Sprache Zuwanderer bei uns brauchen. Es ist ein grundsätzlicher Fehler der „Integrations-Sprachkurse“, dass ihre Zielsetzungen und Schwerpunkte nicht auf Grund genauer Bedarfsanalysen ermittelt wurden, ja nicht einmal die fachliche Diskussion dazu zur Kenntnis genommen wurde.

4. Der Erwerb der deutschen Sprache ist ein notwendiger Bestandteil jener Maßnahmen, die zur Integration von Zuwanderern beitragen, Deutschkurse alleinsind aber überhaupt nicht hinreichend. Es bedarf eines Integrationskonzeptes, von dem her auch die Qualität der Sprache geprüft wird, die man für den Integrationsprozess braucht.

„ Pädagogik kann Politik nicht ersetzen“ – mit diesem Hinweis haben Griese und andere schon vor ca. 25 Jahren kritisiert, dass ausschließlich dem Bildungswesen die Verantwortung für die Integration der Zuwanderer zugeschoben wurde. Daran hat sich bis heute eigentlich nur geändert, dass die Politik die Pädagogik noch ungenierter instrumentalisiert; so jedenfalls interpretiere ich die Unterordnung der Sprachkursangebote unter die Kuratel des Innenministeriums und die Verknüpfung von Sprachkenntnissen mit Aufenthaltstiteln.

5. Es gilt deutlich zu machen, dass es bei Sprachangeboten nicht mit Deutschkursen für die Zuwanderer getan ist, dass wir vielmehr für unsere Gesellschaft ein Gesamtkonzept für die sprachliche Bildung aller Menschen entwickeln müssen, in dem die deutsche Sprache ebenso wie die Herkunfts- und Migrationssprachen der Zuwanderer ihren Platz haben, in dem aber auch wir Deutschsprachige einen sensiblen Umgang mit anders- und mehrsprachigen Menschen erlernen.

Schluss:
Das, was den Migranten verwehrt wird, nämlich die Entwicklung einer plurilingualen Identität, in der ihre Herkunfts- und Migrationssprachen ebenso wie die übergreifenden Mehrheitssprachen sich zu einer neuen mehrsprachigen Identität verbinden, hat in einem anderen Politikbereich, nämlich dem der europäischen Integration, inzwischen einen positiven politischen Stellenwert und gehört – zumindest konzeptionell – zum Kern der europäischen Sprachenpolitik.
Ein Vergleich der beiden Integrationsdiskurse erinnert zunächst einmal daran, dass bei uns Sprachenrechte teilbar sind. Für die EU-Bürger gilt die Garantie auf ihre Erstsprache auch in einem zunehmend supranationalen Europa. Zunehmend gelingt es auch, für die autochthonen Minderheiten ein Recht auf die Erstsprache und Mehrsprachigkeit zu etablieren – für die zugewanderten Minderheiten gilt dieses Recht nicht, sie unterliegen dem Druck der Anpassung an die Mehrheitssprachen; das Recht auf die Erstsprache wird ihnen zwar in einigen Deklarationen zuerkannt, als Nachweis für ihre Integrationsbereitschaft gilt für sie jedoch ausschließlich die Beherrschung der Mehrheitssprache. Ihre Mehrsprachigkeit ist eine erzwungene, unsere eine eher frei gewählte.
6. Ein wichtiger Schritt zur Integration Anderssprachiger in unsere Gesellschaft muss darin bestehen, ihnen die gleichen Sprachenrechte einzuräumen, die für uns selbst gelten:
– das Recht auf die Mutter- oder Herkunftssprache ebenso wie das Recht auf Mehrsprachigkeit und die Benutzung verschiedener Sprachen in den unterschiedlichen Kommunikationsräumen.

Jenseits der Deklarationen weisen die beiden Integrationsdiskurse dann aber auch erstaunliche Ähnlichkeiten auf: auch für die europäische Integration gilt, dass sie sich in der Praxis keineswegs unter dem Banner der Mehrsprachigkeit vollzieht, dass vielmehr auch hier vor allem das Englische Priorität gegenüber anderen Sprachen genießt. Besonders deutlich wurde das bei den Verhandlungen zur EU-Erweiterung. Die Bildungselite in den Beitrittsländern, die heute 40 bis 60Jährigen, sprachen in der Mehrzahl eher Deutsch und Russisch, nur in Ausnahmefällen Englisch. Deutsch etwa als Verhandlungssprache bei den Beitrittsverhandlungen hätte diese für die Beitrittsländer einfacher und zügiger gestaltet; statt dessen musste in den Beitrittsländern erst einmal die Fähigkeit, auf Englisch in Europa mitzuwirken, entwickelt werden – mit fatalen, an den gegenwärtigen Statistiken abzulesenden Konsequenzen für die Nachfrage nach anderen Sprachen und die Mehrsprachigkeit. Auch die EU setzt, trotz ihrer Mehrsprachigkeitsrhetorik, Prozesse der Entwertung von Sprachen in Gang.

Als Konsequenz daraus müssen wir, wenn wir tatsächlich eine Integration aller europäischen Bürgerinnen und Bürger mit unteilbaren, gleichen Sprachenrechten wollen, zunächst einmal ein verstärktes sprachenpolitisches Engagement entwickeln, das von der Politik einfordert, auch die Rahmenbedingungen für die Entstehung einer mehrsprachigen Gesellschaft zu schaffen, dazu gehört unter dem Stichwort Integration ganz entscheidend, die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Regelungen für die Amtssprachen der EU einerseits, die Sprachen der autochthonen und die der zugewanderten Minderheiten andererseits zu beseitigen und gleiche Sprachenrechte unabhängig von Staatsbürgerschaft und aufenthaltsrechtlichem Status einzufordern.

Damit das gelingt, bedarf es allerdings auch neuer Konzepte und Korrekturen, was unserem fachlichen Umgang mit Sprachen betrifft – ich nenne abschließend vier dieser notwendigen Korrekturen:

1) Neue Konzepte des Testens und Prüfens, die nicht länger eine Sprache aus der Mehrsprachigkeit des Individuums herausschneiden und isoliert abfragen, sondern die Sprachkenntnisse auch in einer bestimmten Sprache stets im Kontext der individuellen Mehrsprachigkeit und der daraus resultierenden Handlungsfähigkeit beschreiben.

2) Damit einher geht zweitens die Notwendigkeit, in viel stärkerem Maße Teilkompetenzen zu beschreiben und entsprechende Teilcurricula zu entwickeln. Mehrsprachigkeit ist nicht zu erreichen, wenn man alle Menschen zwingt, in zwei oder drei Sprachen jeweils die gleichen Can do-Statements auf B2 oder C1 zu bejahen, sondern im Gegenteil für sich und andere spezifische, unterschiedliche Kommunikationsräume zu erschließen.

3) Daraus ergibt sich drittens auch die Notwendigkeit, eine nicht nur kontrastiv die L1 und die L2 in Beziehung setzende, sondern eine die gesamte Spracherfahrung des Menschen einbeziehende sprachkontrastive Forschung und Mehrsprachigkeitsdidaktik zu entwickeln.

4) Schließlich ergibt sich aus der Tatsache, dass Sprachen und ihren Sprechern unterschiedlicher Wert beigemessen wird, dass Sprachen immer wieder zur Ausgrenzung benutzt werden, die Notwendigkeit, Sprachunterricht so anzulegen, dass er beiträgt zu der Fähigkeit, mit Verschiedenheit nicht diskriminierend umzugehen: dass Sprachunterricht der ideale Ort für eine interkulturelle Erziehung ist, taucht in den Lernzielen der staatlich verordneten Kurse leider nicht auf.

Sucht man nach Beispielen für die Rolle der Sprache bei nationalen und internationalen Integrationsprozessen in der Gegenwart, so fallen einem zahlreiche negative Beispiele ein: Sprache wird immer wieder als Kriterium der Ausgrenzung und als Mittel der politischen und wirtschaftlichen Dominanz im Verhältnis zwischen Mehrheitsbevölkerung und Minderheiten eingesetzt. Wenn Sprachunterricht einen Beitrag dazu leisten soll, dass Menschen in einer vielsprachigen Welt zu Hause sein können, dass sprachliche Verschiedenheit eben nicht zum Kriterium der Ausgrenzung wird, sondern Menschen es lernen, Sprach- und Kulturgrenzen zu überwinden, dann setzt dies einen Sprachunterricht voraus, dem es nicht allein um die Vermittlung einer für Alltag und Beruf nützlichen Sprache geht. Dass die Deutschkurse für die Zuwanderer ausschließlich funktional auf Kommunikation in Alltagssituationen des je eigenen Lebensumfeldes angelegt sind, ist unter diesem Gesichtspunkt durchaus integrationsbehindernd. Ich sehe eine wichtige Aufgaben darin, diese Engführung des Sprachenlernens zu überwinden zugunsten interkultureller Lernprozesse: Sprachunterricht, richtig angelegt, sollte beide, die Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung wie die Zuwanderer, dazu befähigen, sich besser zu verstehen, d.h. Sprachen – und zwar mehrere, verschiedene Sprachen – als Ausdruck von Respekt und Toleranz, als Ausdruck einer europäischen Identität und Solidarität, kurz als Medien des Verstehens und der Verständigung zu lernen und zu gebrauchen. Erst in diesem Kontext kann Sprache auch eine integrationsfördernde Wirkung entfalten. In dieser Perspektive malt Ondine ihr Sprachenporträt: dabei wird Deutsch grün eingemalt „for hope in the time in Austria“.

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