I don´t understand your English, Miss.

Neuerscheinung –
Analyse von Sonja Pöllabauer über das Dolmetschen bei Asylanhörungen.

Buchrezension:

Mittelpunkt jedes Asylverfahrens ist die Einvernahme des Flüchtlings. DolmetscherInnen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Umso erstaunlicher ist es, dass ihre Tätigkeit lange Jahre kaum reflektiert wurde. Immer noch hält sich die Vorstellung, DolmetscherInnen würden unsichtbar im Hintergrund agieren und könnten wie Übersetzungsmaschinen eingesetzt werden.

Der Grazer Translationswissenschaftlerin Sonja Pöllabauer ist es zu verdanken, dass Licht ins Dunkel gekommen ist. In einem dreijährigen Forschungsprozess hat Pöllabauer englischsprachige Einvernahmen von AsylwerberInnen am Bundesasylamt Graz aufgezeichnet und wortwörtlich transkribiert. Das Ziel: Das Rollenverhalten von DolmetscherInnen und die spezifischen Kommunikationsgegebenheiten bei Asylanhörungen zu analysieren.

Die Ergebnisse der aufwändigen Pionierarbeit liegen nun als Publikation vor. Die akribische Auswertung der Gesprächsaufzeichnungen zwingt zu einem Umdenken, zu einer Neubewertung der Dolmetschtätigkeit. DolmetscherInnen treten weit aktiver auf, als vielfach angenommen: Sie übernehmen zum Teil die Gesprächsführung, selektieren Informationen, bringen diese in protokolltaugliche Formulierungen und agieren zuweilen parteilich. Auch die Verständigung ist nicht immer störungsfrei: Englisch ist nicht gleich Englisch. AsylwerberInnen haben ihre Probleme mit der Hochsprache von DolmetscherInnen, die ihrerseits mit Dialekten überfordert sind. Nur verständlich, dass es deshalb zu Verzerrungen in der Dolmetschung kommen kann.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht Pöllabauer nicht darum, die Arbeit von DolmetscherInnen zu diskreditieren. Ganz im Gegenteil. Ihre Forschungsarbeit zeichnet sich durch besondere Behutsamkeit aus und verfolgt allein das aufklärerische Ziel, die Wirklichkeit von Asylanhörungen zu erfassen. Die Pointe ist, dass nicht DolmetscherInnen es sind, die umlernen müssen, sondern diejenigen, die bisher der Illusion von neutralen Sprachmittlern nachgehangen sind. Die Schlussfolgerung aus der Studie könnte sein: Die Schwierigkeiten von Kommunikation im Asylverfahren ernst zu nehmen und Strategien zu entwickeln, damit Dolmetschfehler sich nicht zu Lasten von AsylwerberInnen auswirken. Davon ist das neue Asylgesetz jedoch meilenweit entfernt. (Sebastian Schumacher)

Sonja Pöllabauer: „I don´t understand your English, Miss.“ Dolmetschen bei Asylanhörungen. Tübingen 2005. Günther Narr Verlag. 484 Seiten. 59,70 Euro.

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